Mit Schwung dreht Ingrid die große Eisenkurbel (Anm.: Der Name ist auf Wunsch geändert). Ihr Oberkörper geht runter und rauf, runter und rauf. Dabei beobachtet die Fahrdienstleiterin durch das Fenster, wie sich zehn Meter weiter die beiden Schranken senken.
Wenig später rollt die Regionalbahn aus Richtung Kall in die Station Urft. Ein paar Fahrgäste steigen aus. Darunter eine Gruppe Männer und Frauen, die mit ihren Rucksäcken und Regenjacken den Eindruck vermitteln, als wollten sie eine Wanderung unternehmen.
Dann verlässt der Zug den verschlafen wirkenden 320-Seelenort inmitten der Eifel. Ingrid stellt eins der Signale und öffnet wieder die Schranken. Der nächste Zug kommt erst in 40 Minuten.
Die Station Urft ist eins der wenigen Relikte aus einer vergangenen Eisenbahnepoche. Aus einer Zeit, in der es noch keine Computer gab, elektrische Schalter und Relais Hightech-Produkte waren. In ihrem Dienstraum im Stationsgebäude bewegen Ingrid und ihre Kollegen die Schranken und Signale noch mit reiner Muskelkraft.
Über Gestänge und dicke Drähte, die unsichtbar aus dem Bahnhofsgebäude in Richtung Bahnsteig verlaufen und anschließend entlang der Gleise, sind diese Signale und Schranken mit vielen, zum Teil langen Hebeln in ihrem Dienstraum verbunden.
Nur wenige Dinge geben Zeugnis, dass auch hier der Fortschritt behutsam einzieht: eine kleine Telefonanlage, ein Monitor, über den Ingrid einen weiter entfernt gelegenen Bahnübergang kontrolliert, ein kleiner Kassencomputer am Fahrkartenschalter.
Natürlich sind auch die Tätigkeiten der Fahrdienstleiter in dieser Mischung aus Stellwerk und Schalter anders als sonst üblich. Denn Ingrid und ihre Kollegen bedienen nicht nur Signale und Schranken, was bei der Deutschen Bahn die eigentliche Aufgabe der Fahrdienstleiter ist.
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Unter den deutschlandweit 2.600 Stellwerken sind rund 640 von ihnen rein mechanische Stellwerke. Weichen und Signale über Hebel, Stangen und Züge zu stellen, stammt aus den Kindertagen der Eisenbahn. Nachfolger waren elektromechanische Stellwerke und Relaisstellwerke, bei denen die Fahrdienstleiter keine Kraft mehr aufwenden müssen. Sie betätigen Schalter, Hebel oder Knöpfe, die die Stellung der Weichen und Signale elektrisch über Drahtseilzüge verändert. Alle drei Arten sind bei der DB noch in Betrieb.
In Zeitungsberichten und Fernsehsendungen über Stellwerke werdet Ihr bestimmt schon einmal große Pulte gesehen haben, auf denen sich viele Knöpfe befinden, die mit farbigen Linien verbunden sind. In diesen Fällen arbeitet der Fahrdienstleiter in einem Relaisstellwerk. Er stellt die Weichen, indem er sich über das Pult beugt und am entsprechenden Streckenabschnitt zwei Knöpfe drückt.
Inzwischen ist aber auch die Deutsche Bahn in der Gegenwart angekommen. Nach und nach ersetzt sie diese alte Technik durch elektronische Stellwerke (ESTW) mit Hochleistungscomputern. Die Fahrdienstleiter sitzen vor ein oder mehreren Monitoren, auf denen schematisch die Gleise, die sogenannten Fahrstraßen, ihres Zuständigkeitsbereichs abgebildet sind.
Zum Stellen von Weichen und Signalen klicken sie nur noch auf die entsprechenden Symbole. Zwischen Flensburg und Garmisch Partenkirchen sind inzwischen 338 ESTW in Betrieb.
Ingrid stammt aus der Nähe von Zittau in Sachsen. Seit 40 Jahren ist sie Eisenbahnerin. Bei der Reichsbahn machte sie eine Ausbildung zum Eisenbahner für Betriebs- und Verkehrsdienst. 2003 verschlug sie es in die Eifel. Denn in ihrer Heimat begann die Deutsche Bahn elektronische Stellwerke zu bauen, für deren Betrieb weniger Mitarbeiter benötigt werden. Die Fahrdienstleiter der alten Anlagen wurden daher woanders und deutschlandweit eingesetzt.
„Die Umgebung hier ist wie zu Hause“, sagt Ingrid. „Leicht gebirgig und mit schönen Wäldern.“ Etwas wehmütig fügt sie hinzu: „Aber es ist eben nicht mein Zuhause.“ Ihr fehlt die Mentalität ihrer Heimat. „In der Eifel sind die Menschen so verschlossen. Aber es gibt Gott sei Dank auch Ausnahmen.“
Urft liegt wenige Kilometer südlich des Nationalparks Eifel, wenige Kilometer vor der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz. Die Gemeinde selbst hat außer der Burg Dalbenden nichts Sehenswertes zu bieten. Aber die nähere und weitere Umgebung ist recht interessant. So beginnt zwischen Urft und der Nachbargemeinde Nettersheim ein Kanal, der zur Zeit der Römerzeit Köln mit Wasser aus der Eifel versorgte. Das idyllische Monschau liegt nur 35 Kilometer nordwestlich. Wanderer kommen im Nationalpark Eifel auf ihre Kosten. Interessante Ziele sind auch das Radioteleskop Effelsberg und das Bergbaumuseum Mechernich.
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Das Telefon klingelt wieder. „Hier ist Urft“, meldet sich die Fahrdienstleiterin. Ihr Kollege vom Nachbarbahnhof kündigt den Zug Richtung Trier an, der abfahrtbereit am Gleis steht. Ingrid steht auf und schließt die beiden Schranken. Dieselben Bewegungen wie vor 40 Minuten: Ihr Oberkörper geht runter und rauf, runter und rauf.